Das schrieb Kulturteil.ch über unsere Premiere:
Das grosse Handyversenken
Das Theater Aeternam spielt ein Stück von Yasmina Reza.
Von Beat Mazenauer
«Ich glaube an den Gott des Gemetzels». Diese zynische Frotzelei des Anwalts Alain Reille hat in diesen Tagen ihren grausamen Witz verloren. In der Welt draussen spielt sich tatsächlich ein wahlloses Gemetzel ab. Das gleichnamige Stück der französischen Theaterautorin Yasmina Reza erhält damit unfreiwillige Aktualität, die es eigentlich gar nicht benötigte. Ihre tragische Komödie für vier Personen ist ein subtiles Kammerspiel, das vor drei Jahren in Zürich eine furiose Aufführung erlebte. Und ein schwieriges Stück für das handelnde Personal. Wie würde das Theater Aeternam, dessen Ensemble aus «Amateuren» besteht, damit fertig werden? Soviel nehme ich gerne gleich vorweg: sehr gut.
In der Stube des Ehepaars Houillé ist das Ehepaar Reille zu Gast. Der Grund: ihr Sohn Ferdinand hat dem jungen Bruno Houillé bei einer Prügelei zwei Zähne ausgeschlagen. Die Eltern wollen nun den Zwischenfall gütlich und einvernehmlich beilegen, indem sie sich in der «Kunst des zivilisierten Umgangs miteinander» üben. Die Initiative scheint dafür eher von den Frauen auszugehen, doch Michel Houillé überbrückt mit versöhnlichen Sprüchen die peinlichen Pausen, während Alain Reille immer wieder dringend am Handy eine dringende Affäre zu bereden hat. Irgendein Pharmakonzern hat seit zwei Jahren die erheblichen Nebenwirkungen eines erfolgreichen Medikaments bewusst unterschlagen, nun gilt es mit Reilles juristischem Beistand alles abzuleugnen. Diese Interventionen fügen sich verräterisch präzise in die zunehmend beschwingtere Kommunikation unter den zwei Paaren ein, bis sich die Haarrisse des Missverständnis allmählich weiten und schliesslich die Fetzen fliegen. Aus dem Geplauder wird bitterer Ernst.
Yasmina Rezas Stück stellt vier unterschiedliche Figuren auf die karge Bühne und spielt mit ihnen einen dramatischen Reigen, in dem sich permanent die Konstellationen und Koalitionen verändern. Wer zuerst die guten Argumente für sich hat, sieht sich unvermittelt in diskursive Nöte versetzt. Jede der Figuren offenbart dabei ihren Zwiespalt und ihr Ängste, jede verbündet sich mit jeder gegen die anderen.
Es gibt kein Gut und kein Böse in diesem Psychodrama. Selbst der steife Anwalt Alain (Christoph Fellmann) zeigt menschliche Verzweiflung, als seine überfreundliche Frau Annette (Rita Zimmerli) sein Handy in einer Blumenvase versenkt, um ihn zum Schweigen zu bringen. Und die selbstsichere Véronique (Franziska Bachmann Pfister) gerät in Rage ob ihres bummelwitzigen Gatten Michel (Marco Sieber). Jeder der vier Figuren findet in den vier DarstellerInnen eine feine Verkörperung.
Die Bühne Rezas, die von Christian Duss gestaltet ein erhöhtes weisses Quadrat in Anlehnung an einen Boxring darstellt, stellt die SchauspielerInnen formlich aus und bietet ihnen keinerlei Schutz. Darauf agiert Christoph Fellmann mit linkischem Zynismus, Rita Zimmerli kotzt gekonnt über die ausgelegten Bücher, was Franziska Bachmann Pfister zum entsetzten Ausruf «Ach du lieber Himmel, mein Kokoschka» bewegt. Marco Sieber mimt derweil den verzweifelten Clown. Und stetig leert sich die Karaffe mit dem exquisitem dominikanischem Rum.
In der Mitte des Stücks setzt eine kurze Tanzeinlage eine Zäsur, die meiner Ansicht nach etwas überdeutlich der Songzeile «Are we humans or are we dancers» von The Killers – so etwas wie der Soundtrack dieser Inszenierung –, Nachachtung verschafft. Sonst aber hat Reto Ambauen mit seinem Team eine gute Mischung gefunden zwischen behutsamer Nachdenklichkeit und gezügelter Aktion. Die feinen Pointen, die oft die kleinen Kehren und Wendungen innerhalb der Dramaturgie anzeigen, sind ohne bemühtes Aufheben gesetzt.
«Das ist die Hölle», die real existierende, wie sie in guten Stuben herrscht und nur von einer dünnen Haut bedeckt wird. Nichts Aussergewöhnliches, nichts wirklich Tragisches, es sei denn, sie breche irgendwo irgendwann urplötzlich aus. Yasmina Rezas «Der Gott des Gemetzels» ist ein grossartiges Theaterstück, das die ganze Realität reduziert in die Stube verlagert. Hingehen, ansehen und wirken lassen – so lautet mein Tipp.